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Die Knappheit der Zeit und die Vordringlichkeit des Befristeten
pp. 143-164
Abstract
Im Zeitalter großer Organisationen ist Zeit knapp geworden. Zeitdruck ist eine verbreitete Erscheinung. Der Blick auf die Uhr und der Griff zum Terminkalender in der Tasche sind Routinebewegungen geworden. Die Verabredungsschwierigkeiten treiben die Telefonkosten in die Höhe. Schlichte rote Mappen (mit längst nicht mehr eiligem Inhalt), Eilt-Mappen, Eilt-sehr-Mappen bevölkern den Schreibtisch und seine Umgebung. Einige drängen sich durch ihre Lage mitten auf dem Schreibtisch und durch einen besonderen Zettel »Terminsache!« vor im Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Die Orientierung an Fristen und fristbedingten Vordringlichkeiten bestimmt den Rhythmus der Arbeit und die Wahl ihrer Thematik. Das alles bedarf vor den Lesern dieser Zeitschrift keines Nachweises. Es gehört zu ihrer eigenen Erfahrung. Die Organisation der Arbeit bringt das mit sich. Aber auch der organisierte Urlaub weist die gleiche eingeteilte und kleingehackte Zeitstruktur auf. Man ißt nicht, wann man Hunger hat, sondern um 12.30 Uhr. Man jagt nach Hause, um den Beginn der Fußballreportage nicht zu verpassen, beschleunigt heftig, um noch vor Umschaltung der Ampel über die Kreuzung zu kommen und riskiert Menschenleben — für Sekunden. Es scheint, daß die Einteilung der Zeit die Ordnung der Werte durcheinandergebracht hat.
Publication details
Published in:
Luhmann Niklas (1971) Politische Planung: Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung. Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.
Pages: 143-164
DOI: 10.1007/978-3-663-07662-9_9
Full citation:
Luhmann Niklas (1971) Die Knappheit der Zeit und die Vordringlichkeit des Befristeten, In: Politische Planung, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, 143–164.